Wie vor einem Weilchen versprochen lade ich euch an dieser Stelle in die Rote Beete ein, wo ihr gemeinsam mit Minka van Bommel das Landleben der Ineke Äppelboom einmal näher kennenlernen könnt.
Die Geschichte selbst stellt in gewisser Weise eine kleine und mit zwinkerndem Auge zu sehende Hommage an das Leben auf dem Land dar.
Ich persönlich mag das Leben abseits des Großstadtrummels total, ob nun so wie hier angepriesen oder doch in ein wenig abgewandelter Form, das lasse ich gerade einmal dahingestellt sein.
Hier nun also mein Beitrag zum Stadt, Land, ... Frau- Schreibwettbewerb 2012 von neobooks und LovelyBooks.
Wer noch einmal lesen möchte, was genau hinter diesem Aktionismus meinerseits steckt, biegt bitte hier ab. ... In diesem Sinne: Frohes Lesen!
Lady
in Red
Fröhlich
summend krempelte sich Ineke die Ärmel ihrer rot-schwarz karierten
Hemdbluse hoch und schloss dann die Tür zur Rote Beete, ihrem
eigenen kleinen Geschäft für Bioprodukte aus der Region auf.
Die
Rote Beete war der
ganze Stolz der jungen quirligen Frau. Und nicht nur das. Das
liebevoll geführte Geschäft, das den ungetrübten Geschmack des
Landlebens anpries und erfolgreich an den Mann und die Frau in der
Gegend brachte, hatte sich als wahrer Glücksgriff für die gesamte
Gemeinde entpuppt. „Wem einmal ein Fleck rote Beete anhaftet, wird
ihn eben nicht mehr los. Genau aus diesem Grund kommen wir nicht mehr
los von deinem Lädchen“, pflegte Landwirt Pretz in bester Manier
zu scherzen. Komplimente wie diese machten Ineke natürlich stolz,
auch wenn sie ihrer herzlichen Kundschaft meist nur einen
bescheidenen Dank entgegnete.
Ineke
hatte den ehemaligen Dorfkonsum vor beinahe vier Jahren und im
Anschluss an ihr Finanzmanagementstudium übernommen. Nicht, um ihre
Kenntnisse knallhart auf dem Markt anzuwenden, sondern vielmehr um
sich rebellierend und eine Fahne schwenkend gegen den engstirnigen
Wunsch ihres Vaters, der seine Tochter bereits als bissige
Börsenmaklerin sah, zu stellen. Und tatsächlich, es hatte gewirkt.
Das Gesicht, das ihr Vater machte, als Ineke ihm von ihren Plänen
erzählte, ist allein schon ausdruckskräftig genug gewesen, um ohne
Zweifel für den nächsten Oscar nominiert zu werden.
Inekes
Liebe zum herrlichen Landleben bestand seit dem Tag, an dem sie als
Zweijährige beschwingt und kopfüber in einen Kuhfladen auf dem
Bauernhof ihrer Großeltern gefallen ist.
Im
Gegensatz zu ihrem Vater, der nicht schnell genug die Segel hatte
streichen und dem Hof seiner Eltern hatte entfliehen können, blühte
Ineke in einem dörflichen Idyll erst richtig auf. Daher kam ihr die
Annonce „Biete Dorfladen in hervorragend ländlicher Lage gegen
das Wissen um fürsorgliche Weiterführung“ im Tageskurier
damals wie gerufen. Oma Isidor, wie die frühere Besitzerin von allen
rührig genannt wurde, wollte ihr Lebenswerk einfach nur in guten
Händen wissen. Mehr nicht. Seither hatte Ineke zwar eine
Generalüberholung und einen leichten Imagewandel hin zur zeitgemäßen
Nachfrage nach ökologisch wertvollen Lebensmitteln und
Alltagsprodukten vorgenommen, führte die Rote Beete jedoch
mit gleicher Hingabe und Herzlichkeit. Die Flitzidee, wie ihr Vater
das Geschäft vom ersten Tage an nannte, hatte sich beharrlich
verankert und ist Inekes Fels in der Brandung geworden.
***
Mit
skeptischem Blick und zusammengekniffenen Mundwinkeln sah Minka van
Bommel aus dem Seitenfenster ihres Autos, während das Vehikel dumpf
über die Feldsteinstraße ins Dorf hinein holperte und Heiko, ihr
Kameramann, im Takt der Radiomusik aufs Lenkrad trommelte.
Minka
war der momentane Stern am Himmel des bundesweit größten privaten
Fernsehsenders. Sie moderierte nicht nur ein an drei Wochentagen
ausgestrahltes Lifestyle- Magazin, sondern führte auch regelmäßig
durch große Specials des Senders. Dieses Mal drehten sie und Heiko
eine vierteilige Dokumentation, die mit jungen Menschen aufwartete,
die in Extremsituationen lebten.
Ehrlich,
für Minka bedeuteten Vogelgezwitscher, Traktorgetöse und Latzhose
das absolute und wahrlich extreme Kontrastprogramm zu ihrem eigenen
Auftreten. Der Filmbeitrag über diese Lady in Red, wie sie in
internen Besprechungen genannt wurde, passte dementsprechend perfekt
in das Profil der Sendung.
Nervös
richtete Minka ihre elegante Hochsteckfrisur und strich sich den
apricotfarbenen Blazer glatt, als sie aus dem Auto stieg. Heiko hatte
den Wagen allerdings derart gekonnt geparkt, dass sie augenblicklich
in eine Pfütze stieg und die Designerpumps sich somit im wahrsten
Sinne des Wortes gewaschen hatten. „Herrgott“, grummelte Minka,
rief sich im nächsten Moment jedoch dazu auf, um alles in der Welt –
komme, was wolle – die Fassung zu bewahren.
***
„Hallo-oo,
ist hier jemand“, trällerte Minka beinah übertrieben
enthusiastisch, während sie weniger euphorisch durch die weit
geöffnete Tür in die Rote Beete schaute. Ihr suchender Blick
blieb sofort an einem rustikalen aber zugleich stilvollen
Verkaufstresen hängen, auf dem eine scheinbar antike Kasse stand.
„Komm’
nur rein! Nicht so schüchtern, Mädchen!“, entgegnete ihr eine
Reibeisenstimme.
Eine
Sekunde später erschien hinter dem Regal ein Hüne mit rauschendem
Bart, breitem Grinsen und ausgetretenen Gummistiefeln, die Minka gut
und gerne als Einpersonenkajak hätte benutzen können.
„Äh,
guten Tag“, Minka bemühte sich um Kontenance und versuchte
gleichzeitig sich des Kohlgeruchs zu entziehen, den der Korb neben
ihr verströmte. „Wir, mein Kollege und ich, kommen vom Fernsehen
und sind auf der Suche nach Ineke Äppelboom. Wissen Sie zufällig –
“ Doch schon unterbrach der Hüne sie und rief durch eine zweite
Tür in den hinteren Teil des Geschäfts: „Hey Kleine, hier sind
zwei Herrschaften, die ins Fernsehen wollen. Kannst du denen
vielleicht weiterhelfen?“
„Nein,
nein, wir wollen nicht ins Fernsehen. Wir kommen vom Fernsehen!“,
erklärte Minka zum zweiten Mal und jetzt doch deutlich brüskiert.
„Ach
so“, brummte der Hüne gelassen, „wie auch immer, ich muss jetzt
los. Meine Liebchen rufen.“
Irritiert
warf Minka Heiko einen Blick zu, der die Kamera geschultert hatte und
interessiert eine erste Patrouille durch die Rote Beete unternahm.
Schließlich entschied sich die Moderatorin zu einem schlichten
Lächeln und einem eher einsilbigen: „Na dann, Ihnen einen
reizenden Tag.“ Woraufhin der Hüne in Gummistiefeln johlend
erwiderte: „Sie sind mir ja eine, reizend. Also dann, reingehau’n
Liebchen.“
***
Wenig
später, Minka hatte sich gerade von der Begegnung der etwas anderen
Art erholt, kam Ineke mit zwei Prachtexemplaren an Zucchini im Arm in
den Verkaufsraum geeilt. Ihre Wangen in ein gesundes rosé gefärbt
und ein paar widerspenstige Haarsträhnen ins Gesicht fallend. ‚Ach
Gottchen, aber auf jeden Fall ein Hingucker’, dachte Minka spitz.
‚Sieh an, sieh an’, sagte sich Heiko in Gedanken und nickte zur
Begrüßung positiv angetan.
„Entschuldigen
Sie, bitte“, Ineke streifte sich die Hände an ihrer olivegrünen
Latzhose ab und begrüßte die beiden dann guter Dinge.
„Keine
Ursache, wirklich nicht“, offerierte Heiko rasch.
„Das
ist doch nicht tragisch“, ergänzte Minka, „die Gurkenernte geht
schließlich vor. Sie züchten wohl besonders gigantische Exemplare?
Irgendein Geheimrezept? Vielleicht die gute Landluft?“
„Danke,
aber das sind Zucchini, keine Gurken. Die hervorragende Landluft
kommt uns wahrscheinlich dennoch zugute“, überspielte Ineke
gekonnt den Fauxpas der Moderatorin und strahlte willkommen heißend.
„So,
da wären wir nun. Mein Name ist Minka van Bommel und das ist mein
Kollege Heiko Trott. Wie verabredet sind wir heute hier, um Sie und
die Rote Beete für unseren Sonderbeitrag Leben extrem auf
die Bretter, die die Welt bedeuten, zu heben“, erläuterte Minka,
die sich nun gänzlich in ihrem Element befand.
„Das
freut mich“, entgegnete Ineke, „allerdings sehe ich nicht
wirklich einen Zusammenhang zwischen dem Titel Ihrer Sendung und
meinen Wirken hier.“
„Ach
was“, Minka winkte aufgeregt ab, „nicht so bescheiden. Sie passen
in das Format wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Oder sollte
ich sagen wie die Karotte in den Gemüseeintopf?“ Sie lachte kurz
auf. „Sie sind jung, dynamisch, innovativ und haben sich eben
dieser extremen Lebensweise hier verschrieben. Sie sind unsere Frau!“
„So,
so“, Ineke musterte die sich in Rage redende Moderatorin mit den
himbeerpinken Lippen und den spinnenbeinlangen Wimpern aufmerksam,
„Jung – das passt. Dynamisch – wenn Sie so wollen. Innovativ –
in gewisser Weise. Aber was bitte meinen Sie mit extremer
Lebensweise?“ Neugierig und in sich ruhend erwartete Ineke die
Antwort. Immerhin war das nicht die erste nette, jedoch zutiefst
unwissende Person, die ihr mit einem derart verschrobenen Weltbild
argumentierte.
Minka
trat einen Schritt näher an Ineke heran und sprach in einem ruhigen,
nahezu verschwörerisch wirkenden Ton auf sie ein: „Nun, ohne Ihnen
zu nahe treten zu wollen, Sie müssen zugeben, dass Sie doch einen
recht unkonventionellen Lebensstil pflegen. Als Absolventin einer
Elitehochschule haben Sie sich entschlossen, dem pulsierenden
Stadtleben samt all dessen Optionen auf Karriere und flippiger
Vielfalt in Sachen Freizeitgestaltung den Rücken zuzukehren. Sie
haben eisernen Willen und Biss bewiesen und haben sich eigenständig
ihre eigene kleine Oase, wie sie es in unserem ersten Telefongespräch
genannt haben, geschaffen. Hier inmitten eingefleischter,
traditionsbewusster Landwirte, die einem ungehobelt daherkommen
können. Sie verzichten auf jeglichen Luxus und arbeiten hart für
ein eher durchschnittliches Einkommen. Soziale Kontakte müssen Sie
entbehren und unterhaltsame Abende in gepflegter Gesellschaft sind
rar. Wir denken schon, dass das alles extreme Bedingungen sind und
Ihre Rote Beete daher für unser Format wie gemacht ist.“
Am
liebsten hätte Ineke schallend losgelacht. Doch sie wollte der guten
Frau nun auch nicht in ländlicher Holzhammermanier vor den Kopf
stoßen, sonst hätte sie all jenen drolligen Unsinn gegebenenfalls
noch bestätigt gesehen. Daher beschloss Ineke, die doch innerlich
sehr schmunzeln musste, diplomatisch vorzugehen.
„Vielleicht
sollte ich uns erst einmal einen Milchkaffee machen und dann können
wir meine Extremsituation hier vor Ort vielleicht mit ein
wenig mehr Gelassenheit nochmals erörtern.“
„Nun
ja, äh, gerne. Milchkaffee klingt … wie soll ich sagen …
Milchkaffee klingt stilvoll“, erwiderte Minka und schaute Hilfe
suchend zu Heiko.
„Genau,
ich stimme euch beiden zu. Erst einmal einen Milchkaffee in aller
Gelassenheit und dann sieht die Welt schon ganz anders aus“,
pflichtete der Kameramann entschlossen bei.
„Prima,
ich bin in einem Moment zurück. Sie können sich derweil gerne ein
wenig umsehen. Lassen Sie es mich nur wissen, falls Sie Interesse an
einer Zucchini, einer Gurke oder einem Glas Holunderblütengelee
haben.“ Grinsend verschwand Ineke hinter dem Vorhang aus
laminierten Postkarten aus aller Welt.
***
Minka
und Heiko nutzten die Gelegenheit und sahen sich im Geschäft um und
nahmen dabei schon den ersten Einspieler für die spätere Sendung
auf.
„Einen
wunderschönen guten Tag liebe Zuschauerinnen und Zuschauer daheim
vor den Bildschirmen. Mein Name ist Minka van Bommel und Sie schauen
unser Special zu Leben extrem. Gemeinsam mit uns sind Sie
heute zu Gast im beschaulichen Heuhausen, wo es sich eine taffe junge
Frau zur Aufgabe gemacht hat, die hiesige Landbevölkerung mit
allerlei Köstlichem und Behaglichen vom Lande zu versorgen.“ Minka
sprach selbstbewusst in die Kamera und hielt dabei abwechselnd ein
Glas eingelegter Tomaten und einen kuscheligen Wollschal ins Bild.
„Während ihre Altersgenossen unbeschwert das Großstadtflair
genießen oder um die Welt jetten, stellt Ineke Äppelboom sich einem
Alltag, in dem Kohlköpfe, Wind-und-Wetter-Creme und
Möchtegerncasanovas – Minka dachte dabei unwillkürlich an diesen
Hünen und seine Liebchen – ihr Leben bestimmen. Extreme
Bedingungen, denen sich diese sympathische Frau entgegenstellt. Aber
sehen Sie selbst.“ Gegebenfalls noch ein Schnitt und im Nachhinein
würde hier der Filmbeitrag eingearbeitet werden.
***
Als
Ineke wenig später drei große Tassen Milchkaffee und einen Teller
mit frischen Quark-Kirsch-Waffeln durch das Geschäft balancierte,
lief Minka das Wasser im Mund zusammen. Köstlich duftete das. Sie
hätte es nicht für möglich gehalten hier, in dieser doch recht
beschaulichen Gegend – und das war milde ausgedrückt – einen
derart modernen Imbiss serviert zu bekommen. Irgendwie hätte sie
doch eher auf Kamillentee und staubtrockene Mandelplätzchen
gewettet. ‚Nun ja, unverhofft kommt oft’, dachte sie bei sich und
schlürfte genüsslich an der Tasse, die Ineke ihr gereicht hatte.
„Himmlisch“,
entfuhr es der verdutzten Moderatorin, als sie in die hauchzarte
Waffel biss.
„Nicht
wahr“, entgegnete Ineke, „das Rezept habe ich von Anton, unserem
Milchbauern.
Dessen
Bekanntschaft haben Sie vorhin doch bereits gemacht.“
Minka
verschluckte sich beinahe an ihrem Stück Waffel und funkelte Heiko
an, als dieser verschmitzt hinzufügte: „Das haben wir wohl,
stimmt’s, Liebchen?“
Ineke
lachte. „Ja, ja, der Anton – harte Schale, butterweicher Kern. Er
und seine Milchkühe, seine Liebchen, sind ein Herz und eine Seele.
Liegt in der Familie, die Mertensens haben alle ein Herz aus Gold.“
„Wunderbar,
da Sie gerade von Herzensangelegenheiten sprechen, frage ich Sie doch
gleich einmal: Was hat Sie denn bewogen in eine solch abgelegene
Wallach-, also, in diese wahrscheinlich märchenhafte Gegend zu
ziehen?“ Inzwischen hatte Minka sich einigermaßen gefasst und
klimperte nachdrücklich mit ihren Wimpern.
„Wissen
Sie, ich liebe das Landleben seit jeher. Und nach meinem Studium bot
sich die einmalige Chance die Rote Beete zu übernehmen. Hier
kann ich all das verwirklichen, was ich in der Enge einer betonierten
und asphaltierten Großstadt mit Sicherheit nicht könnte. Ich bin
frei und unabhängig, kreativ und kommunikativ. Ich kann
experimentieren und fühle mich geborgen. Jeder Tag ist eine
Herausforderung, das leugne ich nicht, und gleichzeitig doch ein
Genuss für alle Sinne. Die Rote Beete ist ein Ort, mit dem
sich Jung und Alt gerne identifizieren. Das freut mich besonders und
unterstreicht für mich die Richtigkeit meiner Entscheidung“,
erklärte Ineke nicht ohne Stolz in der Stimme.
„Fabelhaft.
Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, sie fristen keineswegs das
Dasein einer jungen, den Widrigkeiten trotzenden Einsiedlerin?“
Jetzt
musste Ineke wirklich schallend auflachen. „Ganz und gar nicht.
Aber machen Sie sich nichts draus, von meinem Vater habe ich damals
ähnliche Argumente, oder sollte ich besser sagen Horrorszenarien,
vorgelegt bekommen. Ich versichere Ihnen, hier geht es rund. Die Rote
Beete ist der Treff schlechthin. Ich bin sozusagen
Ernährungsberaterin, Vertrauenslehrerin, Nachrichtensprecherin und
gute Fee zugleich.“
„Ich
verstehe“, sagte die Moderatorin leicht aus dem Konzept gebracht,
„und worin besteht für Sie dann das Extreme in ihrem Leben auf dem
Lande?“
„Sagen
Sie es mir! Sie schienen mir doch recht überzeugt von meinem Leben
am Rande des Erträglichen“, erwiderte Ineke beschwingt und sah im
Augenwinkel, dass Heiko nun auch schmunzelte. „Okay, nun mal
ernsthaft. Ich liebe die extrem klare Luft am Morgen, die extrem
ausgeglichenen Menschen, die extreme Geschmacksvielfalt unserer
hausgemachten Produkte, die extreme Kommunikationsfreude der
Nachbarn, die extrem schillernden Gesänge der Vögel, den extremen
Genuss selbst gepflückter Blaubeeren, die extreme Freiheit, die Rote
Beete ganz nach meiner eigenen Facon führen zu können, die
extreme Neugier und Begeisterung der Kinder, wenn sie Schmetterlingen
über Feld und Flur nachjagen, die extreme Gastfreundschaft des
hiesigen Gasthauses, die extreme Ruhe meinen Gedanken nachgehen zu
können, die extrem sternenklaren Nächte, die extreme Feierlaune
unseres Stammtisches, die extrem leckeren Plundertaschen von Oma
Irmchen nach Hausfrauenart, ach ja, und gelegentlich tatsächlich
auch die extrem gut ausgebaute Schnellstraße Richtung Stadt“,
endete Ineke zufrieden ihre Ausführungen. „Ich hoffe, das ist
Ihnen fürs Erste genügend Extremes und nah am Limit Gebautes und
eventuell auch etwas ordentlich Risikobehaftetes.“ Die junge Frau
grinste.
„Absolut!“,
brachte Minka van Bommel hervor, „Sie haben es auf beeindruckend
präzise Weise auf den Punkt gebracht. Ich danke Ihnen für dieses
überaus deutliche Statement.“
„Das
Vergnügen war ganz meinerseits. Ehrlich, habe mich lange nicht mehr
derart amüsiert. Vielleicht sollte ich doch mal wieder in die Stadt
kommen.“ Ineke lächelte vergnügt.
***
Zwei
Wochen nach dem Interview, wurde nun die Dokumentation über die Rote
Beete ausgestrahlt. Gespannt auf das, was das
Fernsehteam zusammengebastelt hatte, machte es sich Ineke mit
molligen Wollsocken an den Füßen und einer Tasse Rhabarbertee in
den Händen gemütlich. Und dann begann auch schon die Sendung.
Sogleich strahlte ein ihr wohlbekanntes freundliches, wenn auch mit
einem deutlichen Übermaß an Rouge versehenes Gesicht in die
Wohnzimmer der Zuschauer.
„Guten
Abend liebe Zuschauerinnen und Zuschauer. Mein Name ist Minka van
Bommel und ich präsentiere Ihnen heute einen exklusiven Blick hinter
die Kulissen eines extrem beneidenswerten Lebens. Lehnen Sie sich
zurück und lassen Sie sich inspirieren. Hier folgt nun unsere neuste
Folge zum Senderspecial Leben extrem“, Minka legte eine
winzige Kunstpause ein, „extrem sympathisch.“ Und schon folgte
der Beitrag, der mit einer Nahaufnahme einer grasenden Kuh begann.
Dieses markante Klischee hatte wohl einfach nicht fehlen dürfen.
Ineke
lehnte sich zurück – obwohl sie das eher an die Ansage in einer
Achterbahn erinnert hatte – und blickte interessiert auf den
Bildschirm ihres Fernsehers.
Die
liebliche Stimme Minka van Bommels untermalte die Filmsequenzen. …
„Einfältig oder gar öde waren gestern. Flexibel und facettenreich
präsentiert sich das Landleben heute. Die ambitionierte
Finanzmanagementabsolventin Ineke Äppelboom zog es in ein kleines
beschauliches Idyll, weil sie dort ihren Traum verwirklichen kann.“
… „Während die meisten in ihrem Alter rote Beete nur als
Haartönung kennen oder gar für eine neue Punkband halten, managt
Ineke Äppelboom ihr eigenes Business: die Rote Beete, ein
hippes Biogeschäft, in dem knackige Zucchini, cremiger Honig und
sahnige Milch über den Ladentisch wandern.“ … Ineke musste an
sich halten. Minkas Kommentare klangen irgendwie zu gut für diese
Welt. Beinahe vermisste Ineke diesen gewissen ironischen Unterton. …
„Das Glück, sich die eigeneFreiheit bewahren zu können und dabei
in einer Gemeinschaft zu leben, in der man aufeinander zählen kann,
und in der der Bauer noch all seine Liebchen, pardon, all seine Kühe
mit Namen kennt, das weiß Ineke Äppelboom zu schätzen.“ …
Mittlerweile prustete Ineke los. Wenn sie nicht dabei gewesen wäre,
als Minka sich naserümpfend im Geschäft umgesehen und sie
misstrauisch angeschaut hatte, als sie ihr versicherte, Anton sei ein
Gemütsbolzen schlechthin, wäre dieser Beitrag nur halb so drollig
gewesen. Minka schien das Landleben nahezu anzupreisen. … „Wo,
wenn nicht auf dem Land, können motivierte, kreative und dynamische
Freigeister sich besser entfalten? Probieren Sie es aus: Tauschen Sie
doch auch einfach einmal das künstliche Raumspray gegen den Duft
reifer Äpfel, die Karottenhose gegen eine fesche Wathose, das
Glätteisen gegen das Waffeleisen – “ … Ineke traute ihren
Ohren kaum. … „– und tauchen Sie ein in eine Hülle und Fülle
aus urigen Traditionen und modernen Gepflogenheiten. Neue Gesichter,
wie das von Ineke Äppelboom, und ein markiges Image, wie das des
Biogeschäfts Rote Beete, prägen das Landleben von heute. Wie
wäre es mit der Devise „Landflucht einmal umgekehrt – Wir
fliehen raus auf das Land“?
Baff
starrte Ineke im ersten Moment auf den Fernseher. Dann stellte sie
sich Minka van Bommel in Latzhose und Blaumann vor, die gerade dabei
war, sich eine Riesengurke – oder war es eine Zucchini – in
Scheiben zu schneiden und sich diese auf die mit türkisem
Lidschatten geschminkten Augenlider legte. Herrlich, einfach nur
herrlich abgedreht.