"Wer bereits als Kind die Welt zwischen den Zeilen für sich entdeckt, geht auch später gern als Abenteurer durchs Leben." {Creativity First}

Donnerstag, 16. April 2015

[Rezension] Ich. darf. nicht. schlafen. (S. J. Watson)

S. J. Watson: Ich. Darf. Nicht. Schlafen. 

Ein guter Thriller darf es hin und wieder schon sein. Daher entschied ich mich dieses Mal für ein Buch, das mir bereits des Öfteren über den Weg gelaufen ist. Sowohl Titel als auch der Inhalt erweckten meine Aufmerksamkeit. Denn allein der erste Eindruck strahlte etwas Schlagkräftiges, Kalkulierendes und Erdrückendes aus. Etwas, das noch nicht zu greifen war ...


~ Rezension ~

Die Angst erwacht

Christine Lucas wacht eines morgens in einem fremden Bett neben einem ihr völlig unbekannten Mann auf. Vollkommen verstört und ohne jegliche Erinnerung daran, wie sie in dieses Haus kam, ist sie der Verzweiflung nahe. Als ihr der Fremde erklärt, er wäre ihr Ehemann und sie, Christine, wache aufgrund der dramatischen Folgen eines Autounfalls vor zwanzig Jahren jeden Tag erneut ohne Erinnerungen auf, bricht für Christine eine Welt zusammen. Sie hat keine andere Wahl, als ihrem Mann Glauben zu schenken und ihm zu vertrauen. Doch tief im Inneren hegt sie Zweifel, die sich beharrlich zu materialisieren scheinen.

Basierend auf der Diagnose Amnesie erschuf S. J. Watson ein Horrorszenario, das unter die Haut geht und  im wahrsten Sinne des Wortes  den Verstand raubt. Ich. Darf. Nicht. Schlafen., ein Thriller, der diesem Genre definitiv entspricht.

Der Autor wartet mit einem Werk auf, dessen filigrane Unglaublichkeit und komplexe Struktur den Leser packen. Das Gedächtnis zu verlieren und jeden Tag als Ungewissheit zu erleben, ist unverstellbar zermürbend  für den Betroffenen selbst und ebenso für sein gesamtes Umfeld. Das Leben wird zu einem Konstrukt, welches auf Treibsand gebaut ist.

Die angespannte Atmosphäre zwischen Wahrheit und Lüge ergriff mich direkt. Ich spürte, dass mehr als "nur ein Autounfall" hinter dem Schrecken der Christine stecken musste. Aber das stetige Hin und Her sorgte durchgängig für Unsicherheit meiner eigenen Eindrücke. Durch das Heraufbeschwören jener Stimmung gerät der Leser gemeinsam mit der Protagonistin in einen erschütternden Strudel aus Angst und Hoffnung, Überzeugung und Schmerz, Reue und Selbstbestimmung.

Die Figuren umgibt ein mysteriöser Schleier der Unnahbarkeit, wohingegen sie auch zutiefst verletzlich gezeigt werden. Manipulation, Offenbarung, Hingabe, Brutalität  an der Standhaftigkeit der menschlichen Psyche wird gehörig gerüttelt.

Manches Mal entstehen einige Längen durch die Beschreibung sich wiederholender Abläufe, die jedoch der Handlung entsprachen und dann durch neue Tendenzen und dunkle Entdeckungen abgelöst werden. Aus diesem Grund und vor allem dank eines brisanten Showdowns bleibt der nervenkitzelnde Spannungsbogen bis zum Schluss erhalten. Denn erst gegen Ende schlüpft die allumfassende Wahrheit wie ein Nachtfalter aus dem Kokon.

Ein Thriller, der insbesondere durch den geschaffenen Gesamttenor des Identitätsverlusts Perfidie und Vorahnung kreiert. Eine der Stärken des Werks. In Vergessenheit geraten wird dieses Buch so schnell vermutlich nicht.

FZIT: Verstörend. Erbarmungslos. Mitfühlend.