"Wer bereits als Kind die Welt zwischen den Zeilen für sich entdeckt, geht auch später gern als Abenteurer durchs Leben." {Creativity First}

Freitag, 1. August 2014

[Rezension] Darling River (Sara Stridsberg)

Sara Stridsberg: Darling River

Ein Roman, der das beinhaltet, was das genaue Gegenteil von leichter Kost ist. Eine Werk, das darüber nachdenken lässt, inwiefern eine (nicht) vorhandene oder die möglicherweise auf Abwege geratene Eltern-Kind-Beziehung prägt — positiv oder eben negativ. Vorgezeichnete Pfade zu gehen und Erwartungen zu erfüllen, kann im gleichen Maße zerbrechen, wie der Versuch einem Hamsterrad, das einengt, zu entfliehen.
Eine äußerst hintergründige Geschichte, deren Fortlauf polarisiert.


~ Rezension ~

Lo ist anders. Bereits als Kind war sie das. Damals verbrachte sie viele Nächte auf langen Autofahrten mit ihrem Vater, dem sie gefallen wollte. Später waren es unzählige Liebhaber, mit denen die junge Lolita sich ihre Zeit vertrieb. Doch das wonach sie sich sehnte, aufrichtige Nähe und Geborgenheit, blieb ihr verwährt. Als erwachsene Frau möchte Lo nun ihren eigenen Weg einschlagen, doch dieser ist nicht weniger schmerzvoll. Erneut gerät sie an eine emotionale Klippe. Wird sie dieses Mal mutig genug sein, sich fallen zu lassen, oder wird die Vergangenheit wieder zur Gegenwart und damit irgendwie auch zur Zukunft?

Mit Darling River erschuf die schwedische Autorin Sara Stridsberg ein Werk, das neben einer kontroversen Figur der Literaturgeschichte auch eine gefühlsschwere Bandbreite samt der bedrückendsten Abgründe der menschlichen Seele aufleben lässt.

Die glasklare, wenig von Verzierungen ausgeschmückte und dennoch filigran akzentuierte, bildhafte Erzählung umfasst die unterschiedlichen Perspektiven auf das von Unheil gekennzeichnete Leben einer polarisierenden Protagonistin. 
Der gewählte Schreib- und Sprachstil spiegelt dabei sowohl eine vom Leben erschütterte Grundstimmung als auch eine schmerzende Ernüchterung wider. Die melancholische Atmosphäre zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch und ist das wohl markanteste Stilmittel. Obgleich jene düstere Tristesse keine schöne Empfindung ist, so finde ich die Konsequenz, in der sie herausgestellt wurde, beeindruckend.

Zahlreiche direkte und indirekte Gewissensfragenen Hinblick auf die Wertigkeit des eigenen Lebens sind essentieller Bestandteil dieses Buchs. Durch das Verhalten und die Persönlichkeitsentwicklung Los werden diese exemplarisch transportiert und bieten Raum für Diskussion.

Beim Erleben dieses sehr speziellen Schicksals muss sich der Leser darauf einstellen, mit einem wiederkehrenden Wechsel aus Emotionen und Blickwinkeln konfrontiert zu werden. Ein Aspekt, der gegebenenfalls für Irritation sorgt, jedoch die innere Zerrissenheit, Empfindsamkeit und Unerfülltheit der Hauptfigur kaum besser reflektieren könnte.

Ein Roman, der zeigt, wie nah Selbstverwirklichung und Selbstzerstörung, Nähe und Zurückweisung, Zuneigung und Gewalttätigkeit beieinander liegen. Eine tragische und ebenso notwendige Erkenntnis, die Wunden reißt, widerstreben lässt und zum Ergreifen von Initiative aufruft. 

Abgesehen davon, dass die Geschichte die Tragik eines Einzelschicksals ausgestaltet, die nicht es zu verdauen gilt, liegt wohl die größte Stärke darin, zum Nachdenken anzuregen. Und dazu: dankbar zu sein. Dankbar für ein selbstbestimmtes, freigeistiges Leben.

FZIT: Brutal. Schlicht. Tragisch.