"Wer bereits als Kind die Welt zwischen den Zeilen für sich entdeckt, geht auch später gern als Abenteurer durchs Leben." {Creativity First}

Dienstag, 9. September 2014

[Kreativplausch] Sprudelnde Neugier als Zoomfaktor

Das Talent, ohne die Hilfe von Worten kleine Welten mit Sogkraft zu erschaffen, ist nicht jedem gegeben. Ich rede von Welten, die faszinierenden Atollen mitten im Meer gleichen. Bildlich gesprochen. Apropos "bildlich gesprochen", damit wären wir auch direkt beim Thema. Denn hier und jetzt dreht sich alles um Bilder. Genauer gesagt: um Fotos.

Die junge, in Berlin lebende Fotografin Claudia Günther hat ebenjene Gabe, Welten zu kreieren. Wenn sie sich ihre Kamera greift und zu einem Streifzug aufbricht, landet sie nicht selten dort, wohin schon längst niemand mehr schaut. 

Denn die Favoriten der reiselustigen Fotografin sind Kulissen, deren Verfall auf den ersten Blick Tristesse suggerieren. Die sich auf den zweiten Blick, für den Claudia Günther sich Zeit nimmt, allerdings als wirkliches Schmuckstück entpuppen. Modrige Katakomben und verlassene Fabrikgelände haben es der Wahlberlinerin angetan. Wenn sie sogenannte Lost Places aufspüren und einfangen kann, ist sie genau in ihrem Element. Was die einen als beklemmend oder waghalsig definieren, findet die Fotografin selbst absolut spannend und sehenswert. 
Doch nicht weniger atmosphärisch kommen, wie ich denke, ihre Naturaufnahmen und Fotografien prestigeträchtiger Bauwerke daher. Die Perspektiven, die sich in jenen Bildern zeigen, beweisen, wie vielseitig sich die Welt um uns herum gestaltet. Nur nehmen sich die Wenigsten von uns die Muße, genauer hinzuschauen und das Schöne im Detail auf sich wirken zu lassen.

Dass Claudia Günther gerade diese weit verbreitete Hast zum Anlass nimmt, um mit ihren Fotos einen Gegenpol zu schaffen, mag ich besonders. Sie macht unsichtbar Geglaubtes wieder sichtbar und lädt zum Verweilen ein. Eine Mission, bei der sie übrigens jeder ein Stück weit begleiten kann. Denn auf ihrem Blog Claudia Günther – Fotografie lässt sie jeden Freund des außergewöhnlichen Fotos an ihrer Leidenschaft teilhaben. Zudem gastiert seit Mitte Juli 2014 (bis voraussichtlich einschließlich Oktober 2014) ihre erste Ausstellung mit dem Titel „Vergessenes“ im Restaurant Jelänger Jelieber in Berlin (Kaskelstraße 49, Berlin-Lichtenberg).

Hier einmal einige meiner Favoriten aus Claudias ausdrucksvollen Bilderkollektion.




 
© Claudia Günther - Fotografie

Ihre Galerie offenbart noch eine Vielzahl anderer solcher Hingucker. Schaut am besten selbst einmal vorbei!


Besonders freue ich mich, dass sich Claudia als kreativer Geist für einen kleinen Kreativplausch bereiterklärt hat.



~ Kreativplausch ~


Liebe Claudia,

dankeschön, dass du uns im Zuge dieses kleinen Kreativplauschs an deiner Passion für das eingefangene Motiv und gerahmte Bild teilhaben lässt. Ich bin gespannt, was du zu erzählen hast.

Liebe Kora, vielen Dank für die Einladung…


Mit welchem Bild, mit welchem Motiv oder mit welcher Symbolik, um gleich einmal in das Feld der Fotografie einzusteigen, assoziierst du für dich ganz persönlich Kreativität?

Da beginnst du ja gleich mit einer schwierigen Frage… Mit der Kreativität ist das so eine Sache… Entweder hat man sie gerade – oder eben nicht. Zu meinem Glück kann ich sagen, dass sich meine ganz persönliche Kreativität stets zu Wort meldet, sobald ich durch die quietschende Eingangstür meines „nächsten Objektes“ klettere. Meistens habe ich dann auch gleich mit einer regelrechten Flut an wunderschönen potentiellen Motiven zu kämpfen, sodass meine „Kreativität“ sich erst einmal sammeln muss... (-;


Welches sind aus deiner Sicht die Eigenschaften, die einen Fotografen ausmachen? Inwiefern verändert sich die Wahrnehmung der eigenen (Um-) Welt, wenn man häufiger durch eine Kamera schaut?

Die wichtigste Eigenschaft ist wohl die Neugier. Und bzgl. meiner Vorliebe für „alte Häuser“ darf da die Abenteuerlust nicht fehlen. Und wenn man dann noch einen Blick für schöne Perspektiven und Kompositionen hat und besondere Lichteinfälle wahrnimmt, dann empfinde ich das als eine viel wertvollere Eigenschaft, als zu wissen, wie man alle 300 Knöpfe am Fotoapparat bedienen kann. Sicherlich ist ein technisches Know-how eine erforderliche und erleichternde Grundlage, dennoch wird man ohne den Blick für das gewisse Etwas den schönsten Schmetterling vorm Sonnenuntergang nur bedingt atmosphärisch einfangen können. Das trainiert automatisch auch die Wahrnehmung. Viel mehr nimmt man vom Alltag mit, der einen stets umgibt. Details, denen nur Wenige Beachtung schenken, fokussieren mit der Zeit die eigene Wahrnehmung. Das ist natürlich in Zusammenhang mit dem jeweiligen fotografischen Schwerpunkt zu sehen. Ich zum Beispiel scanne stets und ständig das Stadtbild nach verlassenen Häusern ab – ob zu Hause oder im Urlaub.


Deine Reise als Fotografin führt dich in vielen Fällen, weil du dich mit großer Vorliebe den sogenannten Lost Places widmest, in die entlegensten Ecken. Das ist dann der vollkommene Gegensatz zum Rummel der Großstadt, in der du lebst. Wann und wie hat sich dein Hang zum versteckten Motiv, das in der Stille wartet, entwickelt? Was reizt dich an diesen Kulissen besonders?

Prinzipiell habe ich mich schon seit meiner Kindheit sehr gern in alten Häusern aufgehalten. In meinem Heimatort, gab es früher ein altes Schloss – natürlich verlassen. Mehrmals habe ich dieses nach der Schule besucht – später auch mit der Kamera. Das war ungefähr vor zehn Jahren. Dann kamen Ruinen in den umliegenden Nachbarorten. Mich begeistert dabei vor allem das Entlegene. Meist handelt es sich um Orte, denen sonst niemand Beachtung schenkt – im Gegenteil: 95% der Menschen sehen diese Orte als „Schandflecke“. Dabei übersehen sie deren historischen Wert, was früher dort einmal stattgefunden hat und warum das heute nicht mehr so ist. Oft sind es Gebäude, denen man ihre Schönheit erst auf den zweiten Blick ansieht – nämlich im Inneren. Das müssen nicht immer dreckige Fabrikhallen oder Industrieruinen sein. Ich habe wunderschöne verlassene Theater- oder Ballsäle, Konzerthallen und Kinos gesehen, die der Großteil niemals betreten würde. Man muss sich mal vorstellen, was die alle verpassen… (-;


Welches sind – abgesehen von deiner Kamera – die drei wichtigsten Utensilien, die du bei deinen Streifzügen zu den Lost Places im Gepäck hast?

Taschenlampe, -messer und Stativ.


Dass alte Bunker, im Wald stehende Ruinen oder ehemalige Fabrikanlagen auch ohne gewollte Arrangements in Szene gesetzt werden können, unterstreichst du mit deinen Fotos nur zu gut. Ich persönlich finde, dass es dir gelingt, das Geheimnisvolle oder auch das Unerwartete dieser Orte richtig gelungen zu fokussieren. Was ist die größte Herausforderung beim Einfangen einer solchen Kulisse?

Vielen Dank, es freut mich, dass dir meine Bilder gefallen. Die größte Herausforderung ist wahrscheinlich das Licht. Oftmals sind Fenster und Türen der Gebäude versiegelt, es gibt dann nur den indirekten Lichteinfall, z.B. durch Löcher in Decke. Man muss dann damit zufrieden sein, was man eben in diesem Moment hat und das Beste daraus machen. Oder man wartet acht Stunden auf den perfekten Lichteinfall – wenn man die Zeit dafür hat…
Ansonsten sind ja mit den Gebäuden selbst alle erforderlichen Gegebenheiten für ein schönes Foto vorhanden. (-:


Beeindruckend sind ebenso deine Aufnahmen der verbliebenen Architekturen in Griechenland, Italien oder China. Was waren deine ersten Gedanken, als du vor der Chinesischen Mauer standest? Inwieweit trägt die Ausstrahlung eines solchen Motivs dazu bei, dessen Foto zu beeinflussen. Gehst du eher intuitiv vor oder hast du immer genaue Vorstellungen von dem, wie du was am optimalsten fotografierst?

Die chinesische Mauer ist wohl nicht nur für mich von großer Bedeutung. Jeder, der einmal darauf stand, wird dieses Erlebnis nie vergessen. Umso schwieriger ist es, die Ausstrahlung eines derartig bedeutenden Monuments würdevoll einzufangen. In den seltenen Fällen gelingt es wirklich, auch nur einen Bruchteil dieser Wirkung aufzunehmen. Gerade dann ist es wichtig, die Kamera auch mal wegzulegen und den Moment nicht nur durch den Sucher zu genießen. Ich muss zugeben, das fällt mir oft schwer, aber daran arbeite ich… (-:
Ansonsten habe ich meist bereits zuvor ein ungefähres Bild vor Augen, wie das Foto aussehen soll, das ich aufnehmen möchte. Ich sehe ein Motiv und suche dann für mich auch gleich die passende Perspektive und Komposition dazu. Oftmals ist es allerdings auch so, dass gerade die spontanen und unbedachten Schnappschüsse zu Hause beim Bilder sortieren für Überraschungen sorgen – vielleicht gerade aus dem Grund, weil man sich im Vorfeld nicht so viele Gedanken über das „perfekte Foto“ gemacht hat…


Wenn du dir drei Orte aussuchen dürftest, um dort Momentaufnahmen einzufangen, wohin würde es dich aus welchen Gründen unbedingt ziehen? Hinter welchen Orten steht ein großes Muss?

Auf meiner To-Do-Liste stehen auf jeden Fall in die Ruinen von Angkor! Die Verbindung der Geschichte mit den kulturellen Hinterlassenschaften reizen mich sehr. Die verwilderten Ruinen, wie sie von großen Bäumen überwuchert und vom Urwald zurückerobert werden… – das ist ein tolles Motiv! Dann würde ich zu gern das alte Kino in Rüdersdorf noch einmal besuchen. Da war ich schon früher zweimal – nur leider nicht mit der richtigen Ausrüstung. Es gab einen großen Saal mit wunderschöner hoher Stuckdecke und kleinen Architekturdetails. Leider wurde das Kino vor einigen Jahren abgerissen – aber wenn ich mir tatsächlich drei Orte aussuchen dürfte (wie in deiner Frage), dann wäre das auf Platz zwei. Sehr gern würde ich auch mal die Stadt Detroit sehen. Durch die boomende Automobilindustrie zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es dort einen großen urbanen Aufschwung. Mittlerweile stehen dort Gebäude jeglicher Art leer und sind verlassen – eine richtige Geisterstadt...


Wenn du nicht gerade durch die Lande ziehst, um zu fotografieren, womit beschäftigst du dich an deinen Ruhetagen ohne Kamera am liebsten?

Oftmals mit der Suche nach neuen verlassenen Orten. Die Recherche nimmt nämlich mehr Zeit in Anspruch als das Fotografieren an sich.



Und wie schaust du dir Fotos im Allgemeinen selbst an? Beispielsweise die Urlaubsbilder von Freunden oder Plakatierungen in der Stadt. Blendest du dann diesen „professionalisierten“ Blick automatisch aus oder achtest du schon auf Details, die ein Laie eher am Rande streift?

Jeder Mensch fotografiert auf seine Art und Weise. Je nachdem, worin sein Schwerpunkt liegt. Sicherlich achte ich auf Details, Perspektiven und Kompositionen. Allerdings viel mehr bei meinen eigenen Bildern als bei denen der anderen. Da bin ich sehr penibel. Man entwickelt automatisch mit der Zeit einen Blick für Kleinigkeiten, die anderen Menschen sonst nicht gleich auffallen würden.



Weil wir gerade beim Thema „Fotoschau“ sind. Du hast seit Mitte Juli 2014 deine erste eigene Fotoausstellung (im Restaurant Jelänger Jelieber, Kaskelstraße 49, Berlin-Lichtenberg). Gratulation dazu! Was macht es so besonders, die eigenen Fotos nun nicht nur von Familie und Freunden, sondern auch von vollkommen Fremden begutachtet zu wissen?

Vielen lieben Dank. Es ist natürlich ein großes Ereignis für mich. Bisher sahen nur wenige ausgewählte Personen meine Fotos – nun jeder, der im Jelänger Jelieber einen Kaffee trinkt. Das ist schon ein merkwürdiges Gefühl… Aber es macht mich auch sehr glücklich. Vor allem, da ich weiß, wie viel Arbeit dahinter steckt. Nicht nur das Fotografieren an sich, sondern auch die Konzeption der gesamten Ausstellung, die Anordnung und die Organisation. Im Vorfeld habe ich dafür viel Unterstützung von meiner Familie und meinen Freunden erhalten – so sind zum Beispiel alle Rahmen in Handarbeit selbst angefertigt, lackiert und geschliffen worden. Dafür bin ich allen sehr dankbar.



Danke dir für diese netten, interessanten und mitunter durchaus fotogenen Einblicke in dein Wirken hinter der Kamera! Dir auch in Zukunft reichlich viel Freude am Fotografieren und Entdecken kleiner und großer Schätze!

Vielen Dank, liebe Kora.



Ich hoffe, euch hat dieser Kreativplausch, über den ich mich aufgrund des für meine Verhältnisse "etwas anderen Metiers" sehr gefreut habe, mindestens ebenso viel Spaß bereitet wie mir.