Anne Freytag: Renate Hoffmann
Ein Buch, zu dem mir — so mein Gefühl — die zutreffenden Worte fehlen ... Das ist kein Scherz ... Aber ich muss und vor allem möchte dennoch etwas zu meiner Begegnung mir Frau Hoffmann sagen. Denn sie war einmalig!
Selten habe ich ein Buch gelesen, dass in diesem Maße auf seine sehr eigene, im wahrsten Sinne des Wortes unbeschreibliche Art einnimmt.
Die inhaltliche Thematik kombiniert mit einer recht eigenwilligen, aber zugleich gebrochenen Protagonistin ist eine vorzügliche Mischung. Doch umrahmt und getragen wird das Ganze durch den außergewöhnlich charakteristischen Ton einer Anne Freytag, die Worte für jede Lebens- und Gemütslage in petto zu haben scheint.
Kurzum: Ein Roman, der gelesen werden muss! Das ist ebenso wenig ein Scherz.
~ Rezension ~
Wenn
ein Augenblick zur Schnittkante zwischen dem Vorher und dem Danach wird …
Renate
Hoffmann war eine junge Frau voller Lebenslust und Zukunftspläne.
Sie hatte das Gefühl, endlich angekommen zu sein. Sie glaubte, die
Welt gehöre ihr. Endlich. Nach einem steinigen Weg. Doch dann
änderte sich an einem Novembertag vor sieben Jahren alles. Seither
führt eine zurückgezogene, lethargische Frau Hoffmann ein Leben
voller Trostlosigkeit. Bis eben diese Frau Hoffmann beschließt, vom
Balkon in den Tod zu springen. Doch plötzlich überkommen Frau
Hoffmann leise Zweifel und sie fasst erneut einen Entschluss, der ihr
Leben auf den Kopf stellen soll. Doch ist es das, was Frau Hoffmann
wirklich möchte? Oder hat sie zu hoch gepokert und verliert sich
dabei endgültig?
Anne Freytags
Renate Hoffmann
ist ein Roman, der das Leben einfängt – an einem Punkt, an dem es
wehtut. Doch genau dieser Schmerz ist es, der spüren lässt, am
Leben zu sein; besser noch: lebendig zu sein.
Frau
Hoffmann ist eine Protagonistin, deren Konturen markante Ecken und
Kanten in Form von zermürbendem Kummer und tieftraurigen
Erinnerungen prägen. Nach außen hin wird jene scharfkantige
Unnahbarkeit durch neurotische Akkuratesse und ausufernde Pedanterie
abgepolstert. Doch im Inneren schwelt unter den Trümmern
zerbrochener Lebendigkeit noch immer die Sehnsucht nach mehr.
Frau
Hoffmann ist ein Charakter, der mir persönlich binnen weniger Seiten
ans Herz gewachsen ist – trotz oder gerade wegen ihrer Sicht der
Dinge.
Was
beim Lesen dieses Romans neben der filigranen Erörterung
menschlicher Stärken, Schwächen und Abgründe ins Gewicht fällt, ist der Stil der Autorin, die
Geschichte zu erzählen. Ich möchte ihn tatsächlich als einzigartig
bezeichnen – ohne mich dabei allzu weit über die besagte Balkonbrüstung zu lehnen. Denn ich kann mich nicht erinnern, Ähnliches in dieser
Art und Weise umgesetzt schon einmal gelesen zu haben.
Anne
Freytag balanciert eine hohe Emotionalität und eine angenehme
Schlichtheit bestens aus. Sie legt jenes gewisse Etwas in ihre
Erzählungen, das unter die Haut geht. Damit gelingt es ihr, das
abstrakt Scheinende greifbar zu machen. Sie materialisiert Gefühle.
Eine Fähigkeit, die das Lesen des Buches trotz seiner brisanten
Geschichte zu einem Vergnügen macht.
Allen Unwegsamkeiten zum Trotz umgibt das Schicksal der Frau Hoffmann stets
ein Schein des Hoffnungsvollen. Eine Stimme, die anfangs wie eine
Souffleuse flüstert, später mit vehementer Hartnäckigkeit den Ton
angibt. Soll heißen: Die Botschaft Gib
(dich) niemals auf! gewinnt
die ungeteilte Aufmerksamkeit.
Summa
summarum ein Roman, der mit seinen Zeilen und zwischen selbigen zu
fesseln weiß. Anne Freytag versteht ihr Handwerk. Sie ist
verantwortlich für höher schlagende Herzen und solche, die
zerbersten. Sie gibt Hoffnung und schenkt bittere Erkenntnis ein.
Doch sie schubst niemanden leichtfertig vom Balkon. Schon gar nicht,
wenn dieser Jemand eine Geschichte zu erzählen hat. Eine Geschichte,
die vieles bewegt.
F★ZIT: Facettenreich. Fragil. Formvollendet.