Annabel Pitcher: My Sister Lives on the Mantelpiece
[deutscher Titel: Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims]
Seit längerer Zeit hegte ich den Wunsch, jenes Buch unbedingt lesen zu wollen. Nun war also der Moment gekommen.
Wahnsinn, was für ein intensives Werk, dessen Botschaft unmissverständlich deutlich und zugleich uneingeschränkt generationsübergreifend und wie für Familien gemacht formuliert ist. Hinzu kommt ein entzückender Protagonist, der sich seinen Platz in meinem Herzen auf ewig gesichert hat.
Ein Buch, das seine Leser definitiv weit über die letzte Seite hinweg beschäftigt und mich vor allem durch den unerschütterlichen Willen, das Gute im Leben zu erkennen und nicht zu versäumen, beeindruckt hat. Nicht nur einmal kam mir der Gedanke: Wie soll ein einziger (kleiner) Mensch all das verkraften können?
~ Rezension ~
Im
Sturm war mein Herz erobert!
Fünf
Jahre ist es nun her. Seitdem sehnt sich der zehnjährige Jamie nach
ein wenig Normalität. Doch seit seine Schwester Rose bei dem
Attentat in London ums Leben kam, steht seine Welt still. Seine
Eltern sind gebrochene Menschen, seine Schwester Jas rebelliert und
Jamie selbst vermisst Rose nicht ein winziges Stück, schließlich
kann es sich nicht einmal wirklich an sie erinnern. Als er nun mit
seinem Vater, Jas und seinem geliebten Kater Roger aus London
wegzieht, ist er voller Hoffnung auf Besserung, doch stattdessen muss
er sich jeden Tag aufs Neue durchbeißen und findet ausgerechnet bei
einem Menschen Halt, den er niemals mögen dürfte.
Für
mich ist My Sister Lives on the Mantelpiece
ein Werk, das herzerweichender kaum sein könnte. Annabel Pitcher
kreierte eine Geschichte, die durch und durch unter die Haut geht,
Tränen in die Augen treibt und beim Leser den dringlichen Wunsch
eines Happy Ends auslöst.
Als
Erzähler tritt Jamie selbst auf, was der Geschichte einen absolut
goldigen Anstrich verleiht, dessen Strahlkraft über jeden
Rückschlag, jede Gemeinheit hinwegleuchtet. Die kindliche
Erzählweise, die durch eine messerscharfe Ehrlichkeit, eine
unerschütterliche Hingabe sowie eine infantile Naivität bereichert
wird, bringt ein Schicksal auf den Punkt, welches stellvertretend für
die Verletzlichkeit von Kinderseelen
steht.
Die
von Annabel Pitcher modellierten Protagonisten erfüllen die
verschiedensten Rollen und polarisieren dabei. Selten zuvor hätte
ich lieber meine Hand schützend über eine Figur gelegt als im Falle
von Jamie. Die Last, die er zu (er-) tragen hat, spürte ich während
des Lesens deutlich auf meinen eigenen Schultern und in meinem
Herzen. Sunya und Jas sind für mich ebenfalls wahre Helden, während
ich die Kälte der Mutter als unsagbar schwer zu akzeptieren empfand.
Geliebte
Menschen loszulassen, stellt eine unüberwindbar scheinende Hürde dar und
jeder Mensch muss einen eigenen Weg finden, damit umzugehen. Die Autorin zeigt in diesem Buch, wie notwendig es ist, Abschied zu
nehmen und darüber hinaus nichtsdestotrotz weiterzuleben.
Zusammenhalt, Vertrauen und Hoffnung sind nach einer solchen
Erschütterung unabdingbar. Alles andere wäre fatal!
Jamies
Geschichte erzählt davon, dass der Glaube Berge versetzen kann; dass
wahre Freundschaft einem Sprungtuch nach freiem Fall gleicht; und
dass – auf lange Sicht gesehen – schmerzliche Wahrheiten
heilender sind als verzweifelt aufrechterhaltene Illusionen.
Ein
Buch für Klein und Groß, das lachen und weinen, glauben und
verzweifeln, innehalten und kämpfen lässt. Eine Erzählung, die in
einem Moment süß wie Honig auf der Zunge zergeht und im nächsten Augenblick
einen gallebitteren Beigeschmack hat.
F★ZIT: Fragil.
Herzerwärmend. Erfüllend.