"Wer bereits als Kind die Welt zwischen den Zeilen für sich entdeckt, geht auch später gern als Abenteurer durchs Leben." {Creativity First}

Samstag, 22. Dezember 2012

[Solange ich schreibe] Weihnachten, das Fest der Familie

Da das Fest der Feste nun nahezu unmittelbar vor der Tür steht, was bedeutet, dass der Baumschmuck auf Hochglanz poliert wird, die Menüfolge für das Weihnachtsessen dem zweiten und dritten Check standgehalten hat und die lieben Kleinen nun doch zu durch und durch braven Engelchen werden, habe ich mir folgendes überlegt: 

Ich stell euch - sozusagen als weihnachtliches Knallbonbon - ein Kapitel meines Romans Solange ich schreibe, in dem das Familienfest im Mittelpunkt steht, vor. Auch wenn die Geschichte einen bittersüßen Beigeschmack hat, so rückt sie in dieser Passage für mich doch einen der wesentlichen Gedanken der Weihnachtsfeiertage in den Fokus.

In diesem Sinne: Fröhliches Lesen sowie illustre Last-Minute-Vorbereitungen! Zweimal werden wir noch wach ...

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Dem ersten Weihnachtsfest nach dem einschneidenden Verlust meiner Familie sah ich mit einem äußerst mulmigen und beklemmenden Gefühl entgegen. Keine Spur von gespannter Vorfreude. Die Geburtstage meiner Lieben waren schon schwer genug zu ertragen gewesen,  aber das Familienfest schlechthin ohne eigenen Eltern und Schwester zu verbringen, schien mir schlichtweg unmöglich zu sein.
Bevor Finn und ich nach Toronto flogen, schleiften mich Isa und Mickey über den duftenden Weihnachtsmarkt und durch leuchtende Geschäfte. Aber eine ausgelassene Adventsstimmung wollte sich dennoch nicht einstellen. Ich musste mich vielmehr sehr zusammenreißen, eine in mir brodelnde Übelkeit zu ignorieren. Noch vor 12 Monaten hatte ich mich hier mit Em um die größte Zuckerwatte gekabbelt.
Erst in Kanada, umgeben von einer schneeweißen Pracht, frostiger Kälte und der heißen Zimtschokolade meiner Granny, fühlte ich den Geist der Weihnacht langsam erwachen. In meinem Tagebuch hielt ich sowohl mein Unbehagen als auch meine Freude über die Rückkehr nach Kanada fest. Wir hatten uns entschieden, die Feiertage in der Blockhütte in abgeschiedener Wildnis zu verbringen, da Finn und ich schon als kleine Kinder die unberührte Weite geliebt hatten. Ich genoss diese einmalige und ganz besondere Freiheit, die ich problemlos durch stundenlange Spaziergänge oder durch das Eisangeln mit Gramps sofort zu spüren begann. Früher sah ich Kanadas gewaltige Vielfalt als riesigen Abenteuerspielplatz an. Nun gab mir jene fantastische Szenerie die Gelegenheit, meinen Kopf frei zu bekommen und mich einfach nur treiben zu lassen. Die glitzernden Schneemassen, die bitterkalten Temperaturen und die klare Luft begeistern mich schlicht und ergreifend. Sie schienen auch damals meinen Schmerz wenigstens zeitweise zu betäuben, einzufrieren. Einerseits gaben mir die Ferien im klirrenden Winter Inspiration und neue Ideen, andererseits wurde mir die Einsamkeit, die ein Mensch empfinden kann, nochmals richtig bewusst.
Auch wenn ich mich am liebsten in den Tiefen meines warmen Bettes vergraben hätte, bereute ich es letzten Endes nicht, am Weihnachtsmorgen gemeinsam mit Finn, Granny und Gramps die Geschenke ausgepackt zu haben. Der süße Duft der Anissterne und Lebkuchen tat das Übrige. Weihnachten blieb trotz meiner inneren Konflikte das Fest der Liebe und Geborgenheit. Und wer, wenn nicht Finn und meine Großeltern, hatte mir während des vergangenen Jahres mehr Liebe, Halt und Verständnis entgegengebracht?
Das herzliche Beisammensein, das wir jetzt erlebten, war das Ergebnis unseres fantastischen Zusammenhalts. Ich konnte außergewöhnlich stolz auf meine Lieben sein!
Mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachtete ich die Weihnachtssocken über dem Kamin. Denn auch für Emily, Mum und Daddy hatte Santa einen gefüllt. Ich wünschte mir so sehr, die drei könnten mich genau in diesem Moment umarmen. Und dank eben dieses unbändigen Wunsches fühlte ich die Anwesenheit meiner gesamten Familie an diesem Weihnachtstag sogar. Es gibt immer Wege, die Zeit und Raum überwinden und die gleichzeitig für den reinen Analytiker unergründlich bleiben. 

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© Kora Kutschbach