"Wer bereits als Kind die Welt zwischen den Zeilen für sich entdeckt, geht auch später gern als Abenteurer durchs Leben." {Creativity First}

Mittwoch, 2. Juli 2014

[Rezension] Vermiss mein nicht (Cecelia Ahern)

Cecelia Ahern: Vermiss mein nicht 

Bisher habe ich einige Bücher von Cecelia Ahern gelesen. Genau aus diesem Grund würde ich sagen, dass dieser Roman nicht zwangsläufig als "Typisch Ahern" deklariert werden kann. Denn, auch wenn die Autorin die Karte des großen Einfühlungsvermögens ausspielt, so handelt es sich nicht um eine klassische Liebesgeschichte. 
Vielmehr steht die Hommage an das Leben und die Suche nach Erfüllung im Vordergrund, wobei menschliche Schwächen nicht ausgespart, sondern die größtenteils weichen Facetten mit kleinen scharfen Kanten versehen werden.


~ Rezension ~

Wenn die Erinnerung zur Kompassnadel wird ...

Als Sandy Shortt zehn Jahre alt war, musste sie miterleben, wie ihr gesamter Heimatort nach Jenny-May Butler aus dem Haus gegenüber suchte. Denn das Mädchen war von jetzt auf gleich spurlos verschwunden — und blieb es auch. Seit jenem verhängnisvollen Tag hat sich Sandy der Suche nach verloren gegangenen Dingen und vor allem vermissten Menschen verschrieben. Während ihre Familie und Freunde mit Sandys Akribie längst nicht mehr Schritt halten können, gibt ihr die Arbeit vollste Erfüllung. Bis sie eines Tages, vertieft in einen neuen Fall, selbst verschwindet. Plötzlich ist Sandy damit den Antworten auf eine Vielzahl ihrer Fragen erschreckend nah. Allerdings tun sich mindestens genauso viele neue Fragezeichen auf.

Cecelia Aherns Vermiss mein nicht ist ein Roman, der vom Suchen und Finden erzählt. Dabei konzentriert sich die Autorin nicht  — wie für sie charakteristisch — auf die Liebe, sondern vielmehr auf das Leben.

Die porträtierte Protagonistin Sandy Shortt hat ihr Leben im Griff. Allerdings nur dann, wenn sie sich uneingeschränkt dem Suchen widmen darf. Was früher verloren gegangene Socken und Teddybären waren, sind inzwischen vermisste Menschen. Für Sandy ist es ein inneres Bedürfnis, unermüdlich zu suchen. Für jeden anderen ist es eine ausgewachsene Neurose. Ein zweischneidiges Schwert, welches die Autorin sowohl mit realem Fingerspitzengefühl als auch mit der entsprechenden Portion Fantasie präzisiert.

Dass die Kulisse der Geschichte über zwei Ebenen hinweg reicht, lässt den Grundgedanken der Handlung sehr angenehm plastisch erscheinen. Obgleich der Ort Hier einem sehr harmonisierten Ideal entspricht, so stellt er den friedvollen Ruhepol in einem recht aufgewühlten Kontext dar.

Eine Wiedergabe der Geschehnisse erfolgt ebenso aus zwei verschiedenen Perspektiven heraus. Zum einen nimmt Sandy mit ins Hier, zum anderen repräsentiert Jack, Sandys neuster Klient, das Jetzt. Parallelwelten, die sich sehr nah und dennoch meilenweit voneinander entfernt sind, entstehen.

In diesem Roman erwarten den Leser weder großartige Spannungsfelder noch die obligatorische Liebesgeschichte. Vielmehr rücken Werte wie Familienbande und Loyalität in den Mittelpunkt. Es geht darum, sich den Wunsch nach Gewissheit im Leben zu erfüllen — schmerzliche Wahrheiten und Kraft erfordernde Vergebung eingeschlossen. Ein Ansatzpunkt, der mir äußerst zugesagt hat und der ohne ein extravagantes Rüschenkleid auskommt. Dennoch wäre die eine oder andere Tiefenschärfe vielleicht eine mögliche Dreingabe gewesen.

Insgesamt ein Roman, der auf liebenswert einfallsreiche Weise eine Frage in den Raum stellt, die uns alle schon das eine oder andere Mal beschäftigt hat: Wonach suchen wir im Leben? Die Antwort(en), die Cecelia Ahern darauf gibt, schwingen zwischen den Zeilen mit und gewähren  dem Leser genügend Platz für eine eigene Auslegung.

FZIT: Mehrschichtig. Subtil. Hoffnungsvoll.