Jessica Winter: Bis du wieder atmen kannst
Hand aufs Herz: Dieses Buch war für mich doch schon eine kleine Überraschung. Natürlich habe ich rein gar nichts gegen eine "klassische Liebesgeschichte mit ihren jugendlichen Ecken und Kanten". Aber die von Jessica Winter präsentierte Tiefe und herzzerreißende Beschwerlichkeit, mit denen sie ihre Charaktere und Leser konfrontiert, ist das absolute i-Tüpfelchen.
Danke schön, liebe Jessica Winter, dass du mir dein Erstlingswerk anvertraut hast! Sehr zu schätzen weiß ich diese großzügige Geste.
Cover: Jessica Winter
~ Rezension ~
Vertrauen ist wie Sauerstoff. Beides ist essentiell.
Julia und Jeremy könnten verschiedener kaum sein. Sie, die introvertierte und dennoch schlagfertige Unscheinbare. Er, einer der glanzvollen Sportstars der Highschool aus gutem Hause. Wann immer sich die beiden über den Weg laufen, besteht ihr Zusammentreffen aus einem wortreichen Schlagabtausch — zumeist auf Kosten Julias Erscheinung. Doch diese Sticheleien können ihr nur wenig anhaben. Ihre Welt wird täglich aufs Neue erschüttert, auf viel brutalere Art und Weise. Aber das muss unter allen Umständen ein Geheimnis bleiben. Sonst droht der Abgrund. Als Jeremy nun eines Tages zufällig einen winzigen Blick hinter Julias Fassade erhascht, versetzt es seinem Herzen einen Stich. Kann das, was er ahnt und was ihn fortan nicht mehr loslässt, wirklich wahr sein?
Bis du wieder atmen kannst von Jessica Winter erzählt eine ergreifende Geschichte, die gleichermaßen stark wie zerbrechlich anmutet. Ein Debüt, das weit mehr macht, als an der Oberfläche zu kratzen.
Jessica Winter porträtiert zwei heranwachsende Protagonisten, die sich größten emotionalen Eruptionen ausgesetzt sehen. Ungeachtet dessen, dass Julia und Jeremy kaum etwas voneinander wissen, sind sie mutig genug, sich in vorsichtigen Schritten einander anzunähern. Den Weg, den sie einschlagen, zeichnet die Autorin fernab allzu großer typischer Highschoolklischees. Dafür ist der Hintergrund der gemeinsamen Reise viel zu tiefgründig, ernsthaft und schockierend.
Die Geschichte, die Jessica Winter mit ihren Lesern teilt, kann ohne Weiteres als Minenfeld beschrieben werden. Eine Entschärfung der prekären Umstände ist dringend von Nöten, birgt jedoch die Gefahr in sich, die Beteiligten endgültig zu zerreißen. Energisch und zugleich mit großem Fingerspitzengefühl geht die Autorin zu Werke, als sie ihre Figuren in das Krisengebiet aus Selbstzweifel und Erschütterung, Wut und Entschlossenheit schickt.
Die Intensivität, die konsequent zwischen den Zeilen dieses Debütromans mitschwingt, hat mich nachdrücklich beeindruckt. Allein das diffuse Licht der Hoffnung, welches zwischen den Trümmern einer geschundenen Seele hindurchschimmert, belegt, dass diese Geschichte so viel mehr in sich trägt, als es das Buchcover auf den ersten Blick vermuten lässt. In diesem Zusammenhang gilt demzufolge Gleiches für Jeremy und jeden Leser: Jede Oberfläche ist es wert, durchbrochen zu werden.
Insgesamt sollte unbedingt festgehalten werden, dass die unschlagbare Stärke dieses Romans seine Gedankentiefe ist. Die zarte Freundschaft (und potentielle Liebe) zwischen den beiden Hauptfiguren weiß zu überzeugen, obwohl, nein, gerade weil sie auf einem Fundament baut, das aus Bruchstein besteht.
F★ZIT: Brachial. Unerwartet. Ergreifend.