Joël Dicker: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
Wow, was für ein Roman! Ich bin noch immer vollkommen hin und weg. Ein Zustand, der zum einen natürlich auf die an Wandlungsfähigkeit und Detailreichtum nur so strotzende Handlung an sich zurückzuführen ist. Zum anderen jedoch der Meisterleistung des Autors, ein für derartig umfangreiche Verblüffung sorgendes Werk zu schreiben, geschuldet ist. Was für ein Coup!
Dass ich auf eine solch sehr besondere und es in sich habende Verbrecherjagd gehen durfte, war ein wahres Leseerlebnis. Ein Gang durchs Labyrinth sozusagen, bei dem mir (als selbst Schreibender) eine Bemerkung besonders in Erinnerung bleib, die sich letzten Endes doch tatsächlich als nicht unwichtig herausstellte. Da hat die Miss Marple in mir wohl gut aufgehorcht, wobei ich gewiss nie selbst einen derart bizarren Strick hätte drehen können wie Joël Dicker. Chapeau! Doch lest das Buch einfach selbst! Es lohnt sich.
Besten Dank natürlich ebenfalls an den Piper Verlag für das zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar!
[Bildquelle: Piper Verlag]
~ Rezension ~
All
das, was auf den ersten Blick übersehen wird …
Marcus
Goldman lag die Welt der Literatur zu Füßen, als er mit seinem
Debüt sofort einen Bestseller landete. Doch nur wenig später fällt
er in eine schwere Schaffenskrise und weiß sich kaum einen Rat. Bis
im Sommer 2008 eine Entdeckung die USA erschüttert, die Marcus
unweigerlich berührt: Im Garten seines ehemaligen Mentors, dem
hochkarätigen Schriftsteller Harry Quebert, wurde eine Leiche
gefunden, die das Originalmanuskript dessen legendären Romans bei
sich trug. Marcus kann und will nicht glauben, dass Harry der Mörder
der seit über dreißig Jahren vermissten Nola sein soll. Ohne ein Zögern macht er sich auf den Weg, um selbst in diesem mysteriösen
Fall zu ermitteln. Dabei muss er sich nicht nur den gierigen
Ambitionen seines Verlegers erwehren, sondern wird gleichfalls zu
erschütternden Rückschlüssen kommen, die sein Weltbild verändern.
Joël Dicker
ist mit Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
gelungen, ein packendes Stück Literatur zu verfassen, das
aufrichtige Lebensweisheiten mit den größten Unglaublichkeiten aus
Liebe und Verrat, Selbstinszenierung und Gerechtigkeit in Einklang
bringt.
Ich
müsste lange grübeln, um mich an ein Werk zu erinnern, dessen
Komplexität an die dieses Romans heranreicht. Joël Dicker hat ein
Füllhorn literarischer Finessen geschaffen, mit dem er das
Leserpublikum zu begeistern weiß. Die perfekte Mischung aus
Liebesgeschichte, Kriminalroman und Autorenratgeber.
Äußerst
beeindruckend fand ich die unzähligen Ebenen, zwischen denen die
Handlung des Romans pendelt. Denn nicht nur, dass die Erzählung sich
durch regelmäßige Zeitsprünge von über 30 Jahren auszeichnet,
auch die Vielfalt an persönlichen Geschichten der einzelnen
Charaktere sowie die emotionalen Achterbahnfahrten faszinieren
schlichtweg.
Das
Figurenensemble wartet mit einer Bandbreite an Charakteren auf, die
nahezu überwältigt. Dabei werden menschliche Stärken und Schwächen
filigran aufgegriffen und lebensecht wiedergegeben. Ob glorreicher
Blender, unglücklich Verliebte oder burschikose Matriarchin – sie
alle spielen eine nicht unwesentliche Rolle in einem Mordfall, der
unergründlich scheint.
Joël
Dicker beherrscht die Kunst des Verwirrspiels exzellent, sodass ein
Überraschungsmoment das nächste jagt. Kleine und große Wendungen
schlagen unglaublich scheinende Bögen, die überaus bezeichnend für
diesen Roman sind und mich begeisterten.
Darüber
hinaus ist der Aufbau des Buches absolut gelungen und sehr originell
ausgestaltet. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen
raffiniert. Denn schon bald bekommt der Leser das Gefühl, nicht
Dicker, sondern Goldman hätte das Buch geschrieben. Außerdem
empfand ich die umgekehrte Kapitelreihenfolge – den Einstieg bildet
das Kapitel 31 – als mehr als scharfsinningen Weg hin zu einem
Showdown, der es in sich hat. Dem setzten für mich nur noch die auf
den Punkt gebrachten Ratschläge fürs Schriftsteller- und Menschsein
des großen Harry Queberts, die jedem Kapitel vorangestellt sind, die
Krone auf.
Insgesamt
ein Roman, der einen mächtigen Eindruck hinterlässt – und dass
nicht nur aufgrund seiner Überlänge von mehr als 700 Seiten. Ein
rundum bemerkenswertes Buch, dessen Perspektivenreichtum für
Aha-Momente ohne Unterlass sorgt.
F★ZIT: Ausgeklügelt.
Originell. Überraschend.