Wie fühlt es sich an, wenn wir glauben, das Richtige zu tun und dafür aber ein Trümmerfeld in Kauf nehmen müssen? Heiligt der Zweck wirklich um jeden Preis die Mittel? Und: Weshalb kann die Medizin einen gebrochenen Knochen heilen, einem gebrochenen Herzen hingegen wird diese Möglichkeit verwährt? All jene schattierten Fragen machen diesen Roman aus. Ein Buch, das mir einmal mehr vor Augen führt, weshalb Jodi Picoults Werke stets unter die Haut gehen.
~ Rezension ~
Wenn das Richtige falsch und das Falsche richtig scheint...
Als Charlotte und Sean O'Keefe ihre kleine Willow nach der Geburt das erste Mal sehen, steht die Welt still. In diesem Augenblick fühlen sie das größte Glück. Und stechendsten Schmerz. Denn ihr sehnlichst gewünschtes Baby wurde mit gebrochenen Knochen geboren. Willow hat Osteogensis imperfecta, die Glasknochenkrankheit. Die kleinste Erschütterung kann sie schwer verletzen. Fortan macht es sich Charlotte zur Lebensaufgabe, ihre Tochter vor allem Unheil dieser Welt zu beschützen. In einem Prozess gegen ihre Gynäkologin —ihre beste Freundin Piper— sieht Charlotte die Möglichkeit, für eine klein wenig Gerechtigkeit. Denn hätte Piper Willows Krankheit eher diagnostiziert, hätte Charlotte eine Wahl gehabt. Doch vor Gericht zu behaupten, ihre Tochter wäre besser nie geboren worden, lässt nicht nur Charlottes Herz brechen...
Jodi Picoults Roman Zerbrechlich kommt einem feinsinnigen Rammbock gleich. Einerseits berührt er zutiefst. Andererseits erschüttert er Grundfeste.
Fulminante Energien, bittere Abgründe und verwurzelte Schicksalshaftigkeit klopfen wie ein Herzschlag zwischen den Zeilen. Was geschieht, wenn eine Mutter und Vater nur das Beste für ihr geliebtes (schwer krankes) Kind wollen? Und vor allem: Was geschieht, wenn dieses "Beste" nicht ein und dieselbe Sache ist? Tränen fließen, Vertrauen wird auf die Probe gestellt und es bricht so viel mehr entzwei als die Knochen eines Mädchens, das einen mit ihrer durchdringenden Intelligenz und Tapferkeit schier beeindruckt.
Einmal mehr hebt Jodi Picoult eine emotional aufwühlende und zugleich kleinteilig recherchierte Kompetenz unter ihre Erzählung. Zum einen gewährt sie einfühlsam und ohne Berührungsangst Einblick die Krankenakte eines von Osteogensis imperfecta Betroffenen. Zum anderen zieht sie den Radius weiter: Was bedeutet diese Krankheit für die gesamte Familie des Erkrankten? Welche Verantwortungen gehen mit der Diagnose einher? Welche Pflichten obliegen dem Gesundheitssystem und der Gesellschaft?
Gänzlich gelungen ist das von Jodi Picoult heraufbeschworene Für und Wider. Sie (ver-)urteilt nicht. Doch sie legt den Finger in die Wunde und öffnet Augen. Während des Lesens konnte ich förmlich spüren, wie mich die Argumentationsketten der verschiedenen Protagonisten grübeln lassen. Ein Gefühl, das Verständnis dafür schafft, dass es im Leben kein einfaches Sein oder Nichtsein gibt. Schon gar nicht, wenn es darum geht, dass Eltern für das Wohl ihrer Kinder kämpfen.
Während die Gerichtsverhandlung im Mittelpunkt des Geschehens steht, gelingt es der Autorin, einen nicht weniger brenzlichen Nebenschauplatz zu kreieren. Denn auch Amelia, Willows Schwester, leidet. Auf ihre eigene, bedrohliche Weise. Amelia fällt die Rolle der Rebellin zu. Im Herzen wünscht sie sich jedoch nichts mehr als das, was ihre Mom für Willow erkämpfen möchte: Unterstützung und Sicherheit. Vor allem auf emotionaler Ebene.
In der Summe entspricht dieser Roman einem Kaleidoskop des Lebens. Manchmal sind wir es, denen wehgetan wird. Manchmal sind wir es, die anderen (unbewusst) wehtun. Manchmal gewinnen wir und verlieren trotzdem. Manchmal verlieren wir —vordergründig; und gewinnen dennoch— hintergründig.
F★ZIT: Bewegend. Filigran. Gewaltig.